Leseprobe aus

 

Das Tor ins Anderswann

Sabine Kruber

 

Plötzlich hörte Jana Kinder kreischen. Im nächsten Moment rannten sie auf den Hof, als sei der Teufel hinter ihnen her.
»Knecht Ruprecht, Knecht Ruprecht!«, riefen sie. Jana konnte das Gesicht des Jungen sehen, der eben nach den Schlägen seines Vaters noch gegrinst hatte. Jetzt stand die Angst in seinem Gesicht. Eilig verschwanden die Kinder im Haus.
Jana sah zwei Gestalten den Weg entlang kommen. Einen Mann im roten Mantel, einem weißen Bart und einem Bischofshut und einen schwarz gekleideten Mann mit verrußtem Gesicht. Eine große Rute hatte er sich lässig über die Schulter gelegt. Nikolaus und Knecht Ruprecht.
Neugierig ging Jana nach unten in die Stube.
Dort standen die Kinder stocksteif nebeneinander. Ihre Gesichter zeigten alles andere als freudige Erwartung.
Der Nikolaus räusperte sich. Dann ging er mit vorgebeugtem Oberkörper und drohendem Finger auf die Kinder zu. »Wart ihr auch alle artig, dieses Jahr?«
Ein kleines Mädchen fing an zu weinen.
Im Türrahmen standen die Frau und der Mann. Sie hatten ernste Mienen aufgesetzt. Agathe war nirgends zu sehen.
»Ich bin der heilige Nikolaus. Den artigen Kindern will ich bringen: Apfel, Nuss und Mandelkern. Den unartigen Kindern aber …« Er ließ den Satz unvollendet im Raum stehen, aber Jana konnte in den Gesichtern der Kinder ablesen, dass sie auch so wussten, worum es ging.
In dem Moment trat Knecht Ruprecht vor und schwang seine Rute. »Und ich bin der böse, alte Mann, der alle Kinder fressen kann!«, grollte er mit tiefer Stimme und das kleine Mädchen weinte noch mehr. Aber auch die anderen Kinder bekamen ihre Münder nicht mehr zu.
Dein fieses Grinsen würde ich dir gerne austreiben, dachte Jana.
Jetzt sah sie, dass der Nikolaus mit der Mutter der Kinder Blicke austauschte. Sie dirigierte ihn zu den Kindern, die anscheinend artig genug waren. Diesen Kindern gab er einen Apfel. Sofort entspannten sich die kleinen Gesichter.
Doch als Knecht Ruprecht vor dem Jungen stand, der vorhin schon übers Knie gelegt worden war, und seine Rute schwang, sah der Junge ihn mit entsetzten Augen an und im nächsten Moment rannte er blitzschnell los, hinter den Rücken seiner Geschwister entlang. Flink wie ein Wiesel lief er im Zickzack um die Anwesenden in der Stube herum nach draußen. Doch Knecht Ruprecht ließ sich nicht lumpen. Er setzte dem Jungen nach.
Jana stürzte nach draußen und konnte nur noch zusehen, wie der Mann den Jungen ziemlich unsanft packte und ihn sich über die Schulter warf. Schallend lachte er über den schreienden und zappelnden Jungen. Die Kinder standen mit weit aufgerissenen Augen am Fenster, wohl froh, dass es nicht sie erwischt hatte.
Der Nikolaus und Knecht Ruprecht zogen mit dem zappelnden Jungen weiter.
Was machen die mit ihm? Jana lief ihnen hinterher. Sie zogen Richtung Stadt. Kaum, dass sie außer Sichtweite des Hauses waren, ließ Knecht Ruprecht den Jungen frei, nicht ohne ihn mit einem tiefen grollenden »Das nächste Mal kommst du mir nicht mehr davon!«, noch einmal Angst einzujagen. Der Junge stolperte und kaum, dass er sich wieder beisammen hatte, rannte er zurück zum Hof.
Die Männer lachten und der Nikolaus zog eine kleine, metallene Flasche heraus, entkorkte sie und reichte sie Knecht Ruprecht. Der nahm einen großen Schluck. »Das war doch eine Gaudi!«, sagte er. Die beiden lachten und machten sich auf den Weg zum nächsten Hof. Jana folgte ihnen ein Stück, bis es langsam dunkel wurde. Zeit heimzugehen.

 

 

Cover Buch fertig 500 

 Das Tor ins Anderswann

Eigentlich würde die 14-jährige Jana viel lieber mit ihrer Band proben, statt die Weihnachtsferien bei ihrer Oma zu verbringen. Doch als sie einen alten Holzengel findet, verwandeln sich die öden Ferien in ein Abenteuer und ihr erscheint jede Nacht der Geist eines kleinen Mädchens. Das Geistermädchen führt sie zu einem Baumportal, durch das Jana in das Jahr 1838 gelangt. In der Vergangenheit wird Jana selbst zu einem unsichtbaren Geist, was es ihr nicht einfach macht, Kontakt aufzunehmen. Dennoch gelingt es ihr, neue Freunde zu finden: Matthias, den Straßenjungen, ihre Vorfahrin Agathe und den smarten Arzt Konstantin Heydenreich. Können sie gemeinsam das Geheimnis um das Geistermädchen lösen?

 

für Jugendliche ab 12 Jahren
312 Seiten
als Softcover und Ebook erhältlich

erschienen im
Wiesengrund Verlag / Edition Weltenschreiber
ISBN: ‎ 978-3968140100

erhältlich im
Wiesengrund Verlag / Edition Weltenschreiber -Shop
Autorenwelt - Shop
außerdem im Buchhandel, bei Amazon, Thalia etc. erhältlich

 

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